„Starke Frauen“ im W-Seminar: Eine geflüchtete Iranerin berichtet
„Starke Frauen in Politik und Gesellschaft“, ein zeitloses Thema voller Pionierinnen und Kämpferinnen und vor allem eines, das vor Aktualität strotzt. Die Bilder von den mutigen Frauen im Iran, die sich die Haare abschneiden und auf den Straßen gegen das Mullah-Regime demonstrieren, sind um die Welt gegangen. Umso mehr war es für uns als W-Seminar mit dem oben genannten Thema ein Anliegen, für unser Zeitzeugengespräch eine Frau einzuladen, die aus eigener Erfahrung berichten kann, wie es ist, als Frau im Iran gelebt zu haben. Unsere Interviewpartnerin Frau S., die mit ihrer Tochter und ihrem Mann vor drei Jahren aus dem Iran geflüchtet ist, hat eine Schülerin unseres Seminars durch die Kirchengemeinde ihres Ortes kennengelernt. Am Anfang des Gesprächs bittet uns Frau S., das Lied „Baraye“ anzuhören, das zur Hymne der Freiheitsbewegung im Iran geworden ist. Der Sänger Shervin Hajipour, der es aus TwitterNachrichten komponiert hat, ist dafür im Gefängnis gelandet. Während wir andächtig dem persischen Gesang zuhören, lesen wir die an die Wand gebeamte deutsche Übersetzung des Textes: „Für den Seelenfrieden. Für die Frau, das Leben, die Freiheit.“
Danach erzählt uns unsere Zeitzeugin von ihrem Leben. Sie hat Physik studiert und einen gut bezahlten Job gehabt, genauso wie ihr Mann, der Ingenieur ist. Deswegen war es im Vergleich zu anderen für ihre Familie leichter, die vielen Anforderungen für ein Visum zu erfüllen, um ausreisen zu können. Mit den Eltern reiste auch ihre Tochter, die nun auf eine Grundschule in der Region geht. Sie ist ebenfalls bei unserem Gespräch dabei, um bei auftretenden Verständigungsproblemen zu übersetzen. Im Iran hat sie seit der ersten Klasse ein Kopftuch tragen müssen. Eine höhere Bildung ist dort für Mädchen und Frauen zugänglich, alle Schulen und Universitäten sind aber streng nach Geschlechtern getrennt und Berufe wie Sängerin oder Fußballerin sind ihnen ganz verwehrt. Geschockt sind wir, als Frau S. von dem in ihrem Heimatland geltenden Tanzverbot in der Öffentlichkeit berichtet. Das Singen ist ausschließlich Männern erlaubt. Als Mutter und Tochter daraufhin von Konzerten, in denen niemand aufstehen und tanzen darf, und von langweiligen Radiosendungen erzählen, in denen nur Lieder von Männern laufen, sehen wir unseren Alltag plötzlich mit ganz anderen Augen. Wie eingeschränkt das Leben von Frauen im Iran ist, zeigt unsere Zeitzeugin, als sie schildert, wie sie von der Sittenpolizei festgenommen worden ist, weil ihre Hose ein Stückchen zu kurz gewesen ist, oder wie sie in der ersten Klasse keine rosafarbenen Socken tragen durfte, weil nur schwarz an staatlichen Schulen erlaubt wird. Nach der Hochzeit hat im Iran ein Ehemann die Macht zu entscheiden, ob die Ehefrau einen Beruf ausüben darf. Außerdem ist es ihm möglich, neben ihr noch drei weitere Frauen zu ehelichen. Frau S. sagt uns, dass nicht alle Männer diese Macht ausnutzen, dass es viele gute, progressive Männer gebe. Zum Abschluss des sehr spannenden, kurzweiligen und emotionalen Zeitzeugengesprächs haben wir unsere beiden Gäste gefragt, ob sie sich vorstellen können, in Deutschland zu bleiben. Frau S. würde bei einer Verbesserung der Lage in den Iran zurückkehren, ihre Tochter dagegen würde ihre Freunde vermissen und möchte hier für immer leben. In Deutschland steht für die Viertklässlerin im September aber auch ein kleiner Abschied an. Für ihren Übertritt ist sie auf der Suche nach einem Gymnasium. Wir haben ihr da ein Gutes empfohlen…
Samuel Kunkel und Timon Werner