„Gedanken-Haus Europa“ – Schülerinnen des Kunstadditums inszenieren Fragen der Europapolitik und -außenwirkung

Der 67. Europäische Wettbewerb 2020 ruft unter dem diesjährigen Leitmotto „EUnited- Europa verbindet“ u.a. die Jugendlichen der Alterskategorie der 17-21-Jährigen in Modul 4 dazu auf, „Das gemeinsame Haus Europa“ zu entwerfen. Das Kunstadditum der Q12 hat sich mit diesem Gestaltungsauftrag auseinandergesetzt und bewusst ein „Gedanken-Haus Europas“ statt einem zu erwartenden architektonischen Gebilde, das ein reales Haus vorstellt, geschaffen. Das „Gedanken-Haus“ meint hier eine Art Bühnenbild, das architektonisch zwar bewusst die räumliche Perspektive aufspannt, Ebenen, Fluchten, abgeschlossene, verborgene und offene Räume zeigt, nicht aber auf Fassade, modellhafte Entwürfe von Baukörpern im realen Stadtbild setzt. Die Theaterbühne ist von jeher ein Suggestivraum, der sowohl Betrachtern aus dem Publikum als auch den Akteuren darauf einen eigenen Gedankenraum bietet, um in ihnen Augen, Verstand und Herz für für die menschlichen, für die gemeinsamen Dilemma, die uns immer wieder betreffen, zu öffnen. Ganz selbstverständlich trägt sowohl der Betrachter als auch der Akteur seine Welt mit hinein, Rollen werden durchgespielt, Charaktere bewertet, Handlungen „durchlebt“ und an der Lebenswirklichkeit geprüft.

In diesem Sinne griffen die Schülerinnen zum einen kulturelles Wissen um mögliche Bühnenaufbauten aus dem Klassischen Theater (Guckkastenbühne), aus dem epischen-politischen Theater und aus dem Bereich des performativen (öffentlichen) Projektions- bzw. Installationsraums auf: Die entstandenen Arbeiten bieten passend zu unterschiedlichsten Fragestellungen der verbindenden europäischen Geschichte und Politik sehr vielschichtige Bühnenräume, die kommunikationstechnisch raffinierte Zugänge bieten: kognitiv (literarisch, symbolisch) oder intuitiv.

So beschreibt etwa Megan Hitchcock ihr Werk mit der Szene aus der Nachkriegszeit (nach 1945) mit ihrer Frage nach dem Umgang mit der Geschichte in Europa wie folgt:

„Das Werk soll eine Ausstellung darstellen, die durchlaufbar ist, um die Zeit des Zweiten Weltkrieges nachzubilden. Es werden verschiedene Klischees gezeigt, z.B. Soldaten, Kinder mit Gasmasken und auch der führende Politiker, Winston Churchill, der das `V for victory`-Zeichen der Kamera zeigt. Der Großteil der Ausstellung ist ohne Farben gestaltet, da heutzutage die Kriegszeit als eindimensional und schwarz-weiß wahrgenommen wird. Es werden an manchen Stellen Farben verwendet, um die Leben von verschiedenen Individuen zu symbolisieren. Der Krieg wird sehr oberflächlich gesehen, und es wird oft nicht daran gedacht, dass Menschen noch individuell und in ihrem Kreis ihr Leben ausgeführt haben, und dass sie in verschiedenen Weisen auch betroffen sind. Der Zweite Weltkrieg änderte Europa drastisch im Sinne von Politik und auch infrastrukturell, da viele Städte zerstört wurden, und ich habe deswegen dieses Thema für das „Haus Europa“ ausgewählt.“

Hanna Rühl, welche sich die literarisch wie kunstgeschichtlich beliebte Metropole an der italienischen Adria, Venedig, mit ihrem Wahrzeichen für so viele europäische Problemstellungen, dem (unter Wasser stehenden) Markusplatz gewählt hat, wie komplexe ökonomische, ökologische, Glaubens- bzw. Überzeugungsfragen uns alle betreffen. Dass der Maskenträger darin, als Zeichen des karnevalesken Vertreiber des Bösen und gleichsam literarisch ganz klar mit Thomas Manns berühmter Novelle „Der Tod in Venedig“ automatisch mitspricht, führt die enorme Präsenz der gedachten, erlebten und empfundenen Fragestellungen des verbindenden Miteinanders generationsübergreifend vor Augen. Sie selbst erklärt ihre Bühnenkonstruktion ihrerseits so:

„Mein Schaukasten stellt die Bühne Europas dar. Thematisiert sind die Probleme unserer Zeit, insbesondere der Klimawandel mit seinen Folgen vor allem für jene, die am wenigsten etwas dafür können und verzweifelt auf Hilfe hoffen. Das Kind auf der Insel inmitten der überfluteten Stadt Venedig hofft auf eine Besserung, die in meinem Schaukasten durch die Zukunft mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erreicht werden könnte. Moderne Wissenschaft als Retter der vom Menschen selbst erschaffenen Seuche. Und obwohl die Zukunft ungewiss, farblos und nur annähernd greifbar ist, steht diese ungewisse Zukunft für Hoffnung. Sie ist eine entscheidende Rolle, denn obwohl viele ärmere Regionen jährlichen mit den Folgen unseren Handels betroffen sind, existiert Hoffnung. Sowohl dort als auch hier in Europa. Für eine Rettung. Eine bessere Zukunft. Nach all dem stellten sich mir bei der Fertigstellung entscheidende Fragen: Was wird von uns aus für diese Hoffnung getan? Welche Rollen werden wir einnehmen? Wird es ein Drama oder eine Komödie?“

Die beiden weiteren Bühnenbilder von Antonia Grübl, welche sich mit der Klimapolitik anhand der dringenden Aufforstungsnotwendigkeit beschäftigt, und das von Tjorven Stange, deren Werk Klima- und Flüchtlingspolitik geschickt verzahnt, beweisen ebenso auf ihre Weise „EUnited“-Themen, die zum Handeln auffordern, und zwar weil wir es fühlen und begreifen.

A. Roßmann (Kursleiterin des Kunstadditums Q12)